Wundert es eigentlich irgendjemanden, wie schnell die beiden Worte Yoga und Challenge zu einem der geläufigsten hashtags in Yogahausen wurden? Hat irgendwer schonmal jemanden sagen hören, «Ich mache Asanas, um Samadhi zu erreichen?» Nein? Ich auch nicht.
Der häufigste Grund, den mir Leute nennen, warum sie zum Yoga gehen oder zuhause praktizieren, ist: «Da geht es mir immer so gut.»
Yoga ist sehr einladend. Jeder kann ein wenig mehr für seine Gesundheit tun, man muss nicht gertenschlank sein, auch wenn Instagram uns das immer wieder weismachen will. Es gibt keinen Leistungsdruck und die Leute lächeln alle so schön. Ein bisschen Turnen und ein paar Atemübungen, eventuell noch ein bisschen Konzentrieren und Meditieren und schwups, ist der Tag ein anderer.
Tatsächlich sind es die kleinen Momente des Friedens, wenn Körper und Atem in Einklang sind und der Geist einen Raum der Stille offenbart, durch den wir einkehren können in unser Herz. Völlig ok mit dem Körper, dem Moment, jetzt, zuhause in der Absolutheit des Seins.
Und sobald man es bemerkt, grinst man fröhlich in sich hinein. Dies sind die Momente, in denen man sein kann, wer man ist. Das sind die Momente, weshalb wir Yoga machen.
Es könnte so einfach sein. Doch Yoga ist eine alte Philosophie, und bald verstehen wir, daß das, was wir bis jetzt entdeckt und erreicht haben nur ein Bruchteil von dem ist, was Yoga wirklich beinhaltet. Mittlerweile haben wir unsere kleinen Yoga-Glücksmomenten viel zu vielen Leuten versucht, zu erklären und sie damit höchstens verklärt, und spielen mit dem Gedanken, das erste Teacher Training zu absolvieren. Spätestens hier hört man das erste Mal von «Samadhi», dem letzten Teil vom Yoga nach Patanjali, dem er gleich das ganze erste Kapitel widmete.
Irgendwo hier schleicht sich dann Ehrgeiz, Wetteifer, oder auch ein subtiler Leistungsdruck ein, vorausgesetzt man hat eine leistungsorientiere Persönlichkeit, versteht sich. Es gibt eigentlich nur zwei Weisen für solche Leistungsmenschen, Yoga zu machen. Entweder hat man bereits eine Herausforderung in seinem Leben gefunden und nutzt Yoga als Ausgleich, oder man findet seine Herausforderung im Yoga selbst, auf diesem Wege glücklich zu werden.
Plötzlich gibt es ein sagenumwobenes Ziel, das es zu erreichen gilt.
Jetzt geht es um Perfektion von Technik und Performance; um Vergleichen, wie man am besten praktiziert, die Benefits der Praxis erntet und die effizienteste, eine ganzheitliche Vorbereitung für eine besonders tiefe Meditation trifft, um dann –glücklicher denn je– samadhi-like strahlen zu können.
Da ist es wieder, das Ideal. Irgendwo in der Zukunft.
«Wenn ich ein wirklich guter Mensch bin, mich verbiegen kann wie eine Brezel, wenn ich meinen Atem und Geist unter Kontrolle habe, gelernt habe ihn zurückzuziehen, ihn ein-punkt-förmig zu konzentrieren, zu transzendieren und in mir selbst wiederzufinden… dann irgendwann, dann kann ich ganz entspannt glücklich sein.» Nicht selten auch noch das Doppelfiasko: «Und dann werde ich Lehrer, bringe anderen das bei und werde noch viel glücklicher und zudem ein Yogastar.»
Man muss sich jedenfalls nicht wundern, daß Yoga im Westen so gut ankommt. Es spiegelt die innere Zerrissenheit der leistungsorientierten Gesellschaft sehr gut wieder, in der so manch einer merkt, daß es um anderes geht, als Karriere-Leitern hochzuklettern und für sein Image alles zu opfern, in der Hoffnung darin sein Glück zu finden.
Eigentlich will man endlich mal frei sein vom Alltags-Management und Effizienz-Wahn, vom ständigen Besserwerden müssen, der Meinung anderer; aber gleichzeitig kann man einfach nicht aus seiner Haut raus, man ist einfach so gestrickt.
Und während man sich von den Herausforderungen des Alltags, der Familie und des Jobs prächtig beim Yoga distanzieren und erholen kann, und seine Mini-Samadhis unschuldig weiter zelebrieren darf, sieht das ganz anders aus, wenn man dem Yoga ganz widmet. Man wird ebenso selbstkritisch oder fahrlässig wie bei jeder anderen alltäglichen Handlung, die Tendenzen der Persönlichkeit treten auf und beeinflussen die Praxis.
Plötzlich ist Yoga genauso schwierig zu meistern, wie der Rest des Alltags, man muss die Praxis-Zeit unterbringen, denn jetzt gehört sie zum Tagesprogramm, eine effiziente Serie finden oder selbst entwickeln, neue Asanas lernen und in den bekannten stabiler werden, emmm, ich meine –entspannter. Man schafft das eine besser und das andere schlechter, gerade genug, um nicht immer zufrieden zu sein.
Und was ist mit den kleinen Momenten des Friedens, wenn unser Körper und Atem in Einklang geraten und sie den Geist verstummen lassen, und man einfach ok ist mit sich, dem Körper und der Welt?
Die gibt es immer noch. Manchmal jagen wir sie sogar. Manchmal bleiben sie dann aus. Oder wir versuchen, sie zu konservieren. Oftmals wird das fröhliche uns selbst Anlächeln ersetzt durch schulende Gedanken, «Yoga-Chitta-Vritti-Nirodhaha, Yoga ist die Abwesenheit von Gedankenimpulsen im Geist.» Doch immer wieder trifft man auch einfach an der nächsten Ecke auf sie, an der zehnten roten Ampel, #reallifechallenge, und schwups, grinst man fröhlich in sich hinein.